Pfingstpredigt 2024

Stellen Sie sich einen wunderbaren Porsche vor, 550 PS, silbermetallic, ein Traum für Autoliebhaber. Stellen Sie sich vor, Sie sind der stolze Besitzer. Sie lieben dieses Auto. Sie pflegen und polieren es voller Leidenschaft. Und eines Tages wollen Sie dieses Auto Freunden vorführen. Sie setzen sich auf den Fahrersitz, wollen das Auto starten, und es springt nicht an. Es ist kein Sprit drin.

Im Christentum ist das ähnlich. Wir können uns eine wunderbare Fassade zulegen. Wir können unsere schönen Kirchen pflegen. Wir können alte Texte aus der Bibel auswendig aufsagen. Aber wenn kein „Spirit“ drin ist, wenn kein Geist da ist, dann bleibt unsere Kirche eine schöne Fassade. Da fehlt was. Da fehlt der Heilige Geist. Wir brauchen diesen Geist. Wir brauchen ihn in der Kirche. Wir brauchen ihn in dieser Welt, in einer Zeit, in der wir vor so vielen unmöglichen Herausforderungen stehen, die unsere Möglichkeiten weit überschreiten. Da sind der Krieg Russlands gegen die Menschen in der Ukraine, die Kriege im Nahen Osten und vielen anderen Ländern, Klimawandel, Migrationsbewegungen, das Auseinanderdriften unserer Gesellschaft und vieles mehr.

Brauchen wir diesen Glauben an die größeren Möglichkeiten Gottes? Eines Gottes, dessen Geist uns helfen kann, auf die Herausforderungen der Gegenwart nicht mit Angst, sondern mit Mut zu reagieren? Pfingsten bedeutet, gerade in unserer Schwachheit, Angst und Unsicherheit, auf die Kraft und die Möglichkeiten des Heiligen Geistes zu vertrauen. Aber kann dieser Geist diese bedrohte Welt wirklich ändern? Kann Gottes Geist Unmögliches möglich machen? Ja, er kann und die Kirche ist ein Zeichen dafür. Der Geist Gottes ermöglicht Gemeinschaft, wo menschlich gesehen wenig Gemeinsames ist. In der Kirche engagieren sich Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft und Geschichte, Menschen mit unterschiedlichem Charakter und Temperament, mit verschiedenen politischen Überzeugungen und unterschiedlichen Begabungen. Allein zur katholischen Kirche gehören über 1,4 Milliarden Gläubige aus fast allen Nationen. Da ist es mehr als erstaunlich, dass eine solche Gemeinschaft überhaupt funktioniert. Wer auf die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Menschen schaut, der kann sich eigentlich nur freuen, dass trotz aller Spannungen und manchem Nichtgelingen grundsätzlich eine Einheit besteht und erfahrbar wird. Wo das ‚Wir‘ glückt, wird das Wirken des Geistes Gottes deutlich. Dieses „Wunder des Wir“ ereignet sich vom ersten Pfingstfest nach Tod und Auferstehung Jesu bis heute. Pfingsten ist die Geburtsstunde der Kirche, einer Gemeinschaft von Menschen, die sich nicht ausgesucht haben, sondern von Gott zusammengerufen wurden.

Im Alltag schauen wir manchmal mehr auf das, was in der Kirche nicht gelingt: Wir nehmen vor allem die Auseinandersetzungen zwischen Rom und Teilen der Kirche in Deutschland wahr, erleben die Spannungen zwischen Menschen mit verschiedenen Ansichten in der Kirche und ärgern uns über einen Bischof, einen Pfarrer oder einen anderen Christen in der eigenen Gemeinde. Da kann schnell aus dem Blick geraten, dass es all diese Spannungen nur deshalb gibt, weil überhaupt so verschiedene Menschen sich im Glauben an Jesus Christus treffen und versuchen, das Leben aus diesem Glauben in der Kraft des Heiligen Geistes zu gestalten. Und dieses ‚Wunder des Wir‘ strahlt weit über die Kirche hinaus. Am Pfingstfest schauen wir über den Tellerrand hinaus. Das Osteuropa-Hilfswerk Renovabis hilft uns dabei. Renovabis stellt uns großartige Projekte vor. Ein Beispiel sind die katholischen „Schulen für Europa“ in Bosnien und Herzegowina, die vom Renovabis unterstützt werden. In Bosnien und Herzegowina leben etwa 50 Prozent muslimische Bosniaken, 31 Prozent orthodoxe Serben, 15 Prozent katholische Kroaten und weitere 17 offiziell anerkannte Minderheiten wie Roma und Juden. Diese Völker und Gruppen verteilen sich wie ein Flickenteppich über das ganze Land. Seit langem gibt es deshalb Konflikte bis hin zum Bosnienkrieg vor 30 Jahren mit zehntausenden Toten und Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen. Einer der Initiatoren der „Schulen für Europa“, sagt: Sie „waren für viele nur ein Traum. Die lebenswichtige Toleranz war durch den Krieg verlorengegangen. Dadurch wurden selbst die Schulen zum Mittel der Vertreibung und der ethnischen Säuberung gemacht. Dagegen musste die Einsicht gewonnen werden, dass Menschen und Völker sich gegenseitig annehmen und zusammenleben können. In diesem Sinne will sich die katholische Kirche im Land mit diesen Schulen gegen die Verbreitung des Hasses und gegen die ethnische Trennung der Menschen ganz konkret einsetzen. In diesen Schulen werden junge Menschen zu ermutigt, das zu bleiben, was sie sind: Muslime, Orthodoxe, Katholiken oder überzeugte und ehrliche Nichtgläubige. Und tatsächlich ereignet sich in diesen Schulen täglich das Wunder des ‚Wir‘. Kinder von Kriegsopfern und Kriegsverbrechern sitzen in einer Klasse. Kinder unterschiedlicher Völker, Religionen und Konfessionen teilen sich eine Schulbank. Eine kleine friedliche multiethnische und multireligiöse Welt ist möglich geworden, weil es Menschen gab, die in einer unmöglichen Situation an das „Wunder des Wir“ geglaubt haben. Braucht es diesen Glauben an die größeren Möglichkeiten Gottes nicht auch für uns in unserer Kirche, in unserem Land und in Europa? „Damit FRIEDEN wächst. DU machst den Unterschied.“ So lautet das Motto der diesjährigen Renovabis-Aktion. Wir als Einzelne können zwar nicht die Welt retten, aber wir können einen Unterschied machen. „Frieden beginnt zunächst mal bei mir selbst Der Heilige Geist kann uns helfen, mehr Menschen des Friedens zu werden, also Menschen, die aus dem Frieden leben, den Gott schenkt, und diesen Frieden leben.

Die zweite biblische Lesung, die wir gehört haben, weist uns darauf hin, wie das gehen kann. „Feindschaften, Streit, Eifersucht, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid“ sind nicht vom Heiligen Geist. Der Heilige Geist hilft uns vielmehr „Liebe, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte und Sanftmut“ zu leben. Dabei ist Sanftmut ein schönes Wort für eine wichtige Haltung: Aggression kann jeder. Aber Sanftheit braucht oft Mut. Diesen Mut, der Schritte des Friedens auch in unmöglichen Situationen ermöglicht, schenkt uns der Heilige Geist, wenn wir uns ihm öffnen. Das pfingstliche „Wunder des Wir“ ist die Erfahrung des Heiligen Geistes. Sie wird möglich, wo Christen sich in der Erwartung des Geistes Gottes und im Glauben an seine größeren Möglichkeiten zusammenfinden. Dann kann der Heilige Geist das „Wunder des Wir“ wirken – in unseren Familien und Gemeinschaften, in der Kirche und weit darüber hinaus.  

Die Ansprache ist angelehnt an eine Predigt von Weihbischof Dr. Stefan Zekorn, Münster.                                                                .

Matthias Ziemens, Propst