Moritz-Güdemann-Exkursion

Auf den Spuren des bedeutendsten jüdischen Schülers unseres Gymnasiums

Unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse in Nahost haben die Schülerinnen und Schüler der 11a mit ihrem Klassenlehrer, Herrn Dr. Bruns, und in Begleitung von Frau Liebke eine Fahrradtour der besonderen Art unternommen: Sie begaben sich auf die Spuren des wohl bedeutendsten jüdischen Josephiners. Sein Name: Dr. phil. Moritz Güdemann (1835-1918).
  Dieser legte 1853 am Josephinum das Abitur ab und wurde später Oberrabbiner in Wien. Dort kam er in Kontakt mit Theodor Herzl (1860-1904), dem weltberühmten Vordenker des politischen Zionismus und geistigen Gründungsvater des heutigen Staates Israel.
   Während Herzl in seiner Programmschrift „Der Judenstaat“ (1896) die Auffassung vertrat, ein wirksamer Schutz gegen den Antisemitismus sei letztlich allein durch die Gründung eines jüdischen Nationalstaats zu gewährleisten, widersprach ihm Güdemann in seinem Buch „Nationaljudenthum“ (1897) mit dem Argument, das jüdische Volk sei kein Volk im politischen Sinn. Vielmehr seien die Juden seit der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. als „Volk Gottes“ dazu berufen, inmitten der Völker Zeugen des Ewigen und seiner Menschenliebe zu sein.
   In seiner Autobiographie blickt der namhafte jüdische Gelehrte dankbar auf seine Kindheit in Hildesheim und seine Schulzeit am Josephinum zurück: „Der Umstand, daß ich Jude, noch dazu der einzige, auf dem Gymnasium war“, so schreibt er, „hat mir nie Kränkungen oder sonstige Unannehmlichkeiten, weder seitens der Lehrer, noch vonseiten meiner Mitschüler zugezogen.“ – Worte, die unserer Schulgemeinschaft stete Mahnung und Verpflichtung sein müssen…
   Die Exkursion führte an all die Orte in Hildesheim und Umgebung, die Güdemann in seinen Memoiren erwähnt. Sie begann am Neustädter Markt, wo sein Elternhaus stand, und führte dann an den Platz der ehemaligen Synagoge am Lappenberg, die in seiner Jugend erbaut und in der Reichspogromnacht 1938 zerstört wurde. Am Lappenberg steht noch heute das Gebäude der jüdischen Volksschule, die Güdemanns Vater mitbegründet hat.
   Anschließend ging es zum Mariano-Josephinum, mit dem der spätere Rabbiner zeit seines Lebens vor allem die dankbare Erinnerung an seine Lehrer Johannes Leunis und Daniel Wilhelm Jacobi, den späteren Hildesheimer Bischof, verband.
   Am Domhof startete die Fahrradtour nach Bolzum. Dort ist noch heute das Fachwerkhaus von Güdemanns Großvater mit einer hebräischen Inschrift erhalten. Außerhalb von Bolzum liegt der kleine Friedhof der einstigen jüdischen Gemeinde, auf dem Güdemanns Großeltern bestattet sind. Indem an den einzelnen Stationen die einschlägigen Passagen aus seiner Autobiographie gelesen wurden, erhielten die Schüler vielfältige Einblicke in das jüdische Leben während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
   Güdemann selbst hat übrigens nach seinem Tod am 5. August 1918 seine letzte Ruhestätte auf dem Wiener Zentralfriedhof gefunden, während Herzls Gebeine seit 1949 in Jerusalem ruhen – auf einem nach ihm benannten Hügel unweit der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.

Dr. Christoph Bruns


Literaturtipps:
Christoph Bruns: Heimkehr nach Zion. Theodor Herzl und Moritz Güdemann, in: Stimmen der Zeit 149 (2024), 261-272.
Benno Haunhorst: Moritz Güdemann. Ein jüdischer Gelehrter aus Hildesheim, in: Hildesheimer Kalender 2024, 77-87.