Knochenbruch, Kunstblut und Koordination
Großeinsatz am Eilenriedestadion in Hannover: Feuerwehr und Rettungsdienste üben für Ernstfall
Was tun beim einem Unglück? Zusammen mit anderen Hilfsorganisationen und Freiwilligen Feuerwehren haben die Malteser Hannover einen Großeinsatz geübt – ein Brand im Fußballstadion.
Die Fußballsaison 2022/23 geht langsam zu Ende. Einige Entscheidungen über Auf- und Abstieg sind gefallen, andere stehen noch aus. Wo aber Wochenende für Wochenende (Zehn)Tausende von Menschen zusammenkommen, kann immer was passieren. Doch Feuerwehren und Hilfsorganisationen wie der Malteser Hilfsdienst sind darauf vorbereitet – durch Großübungen.
„Wir haben hier dieses Szenarium“, erläutert Charlotte Jarosch von Schweder von den Maltesern Hannover: „Ein Feuer und Rauchentwicklung während eines Fußballspiels, Panik ist unter den Fans ausgebrochen, es gibt mehrere Verletzte.“ Die Beteiligten: Neben den Maltesern der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), das Deutsche Rote Kreuz (DRK), die Johanniter Unfallhilfe sowie drei Freiwillige Feuerwehren aus den hannoverschen Stadtteilen Bemerode, Kirchrode und Vinnhorst.
Ort des Geschehens: das Eilenriedestation, Sitz der Fußball-Akademie des Zweitligisten Hannover 96. 110 Helfer*innen sind im Einsatz, 40 weitere Beteiligte schlüpfen in die Rollen von Verletzten – mit echt aussehenden Wunden, die von der "Realistischen Notfall Darstellung Hannover" geschminkt werden. Das sind nicht nur schnell aufgetragene blaue Flecke. Es geht um schwere Augenverletzungen, offene Wunden und auch deutlich sichtbare Knochenbrüche. Schockeffekte sind einkalkuliert. Sie würden auch bei wirklichen Einsätzen vorkommen. Nur nicht wie hier mit Kunstblut und Schminke.
Verletzte, Gaffende und Betrunkene
Noch etwas kommt bei solchen Einsätzen vor: Verletzte, die sich nicht helfen lassen wollen, Gaffer*innen, die im Weg stehen, Schaulustige, die Helfer*innen behindern, weil sie noch ein Video drehen wollen, Betrunkene, die pöbeln oder herbeigeeilte Angehörige, die vor Absperrungen keinen Halt machen. „Es gibt ein dickes Drehbuch, die für alle Beteiligten eine Rolle aufschreiben, die sie während der Übung einnehmen“, sagt Charlotte Jarosch von Schweder. In der Auswertung des Einsatzes kommt den Schaulustigen, die Videos drehen, noch eine weitere Funktion zu. Ihre Videos werden genutzt, um zu analysieren, in welcher Situation sich Rettungskräfte hätten anders verhalten können.
Warum sind solche Übungen von Freiwilligen Feuerwehren und Hilfsorganisationen so wichtig? „Es sind alles ehrenamtliche Rettungskräfte, die sich hier engagieren“, betont Charlotte Jarosch von Schweder. Im Normalfall rückt bei einem Unglücksfall, wie einem Brand im Fußballstadion, zunächst die Berufsfeuerwehr aus. Wird aber am Ort des Geschehens festgestellt, dass zusätzliche Kräfte nötig sind, rücken die Hilfsorganisationen und Freiwilligen Feuerwehren an.
„Dann muss es schnell gehen“, unterstreicht Charlotte Jarosch von Schweder. Welches Bild bietet sich den Rettungskräften vor Ort? Wie war der Hergang des Unglücks? Welche Verletzungen liegen in Einzelfall genau vor? Wo muss welche Hilfsmaßnahme aufgebaut werden? Welche Trage für welchen Einsatz? Und die schwerste Frage: Wem wird zuerst geholfen? Und wem kann nicht mehr geholfen werden? Genau dafür braucht es wirklichkeitsnahe Szenarien“, stellt Charlotte Jarosch von Schweder heraus.
Ein Unglücksfall verläuft nicht nach Lehrbuch
Denn in den seltensten Fällen verläuft ein Unglücksfall nach Lehrbuch. Zwar wissen alle Rettungskräfte, was zu tun ist. Oder wie, wann, mit wem koordiniert und unter welchen Widrigkeiten – das ist immer wieder anders. Dafür das Drehbuch. Auch für die psychosozialen Einsatzkräfte, die sich um die Verletzungen der Seele kümmern. Oder nach dem Einsatz sich um die Seelen der Rettungskräfte kümmern. Denn auch das gehört im Fall der Fälle dazu.
„Es ist das erste Mal seit Jahren, dass wir wieder in diesem Rahmen üben konnten“, berichtet Charlotte Jarosch von Schweder. Auch solche Maßnahmen sind durch die Corona-Pandemie unmöglich gemacht worden. Für die Malteserin führt kein Weg an diesen Übungen vorbei. Selbst wenn es sich um ein Ereignis handelt, von dem niemand hofft, dass er je eintritt. Das war allerdings schon bei der Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021 nicht der Fall. Auch dort haben die Malteser aus Hannover die Kräfte vor Ort unterstützt.
Gut vier Stunden dauert die Übung. Zum Schluss ist dann noch eine besondere Einheit der Malteser gefordert: das mobile Küchenteam. 200-mal Essen und 200-mal Nachtisch für alle Rettungskräfte, Darsteller*innen und weitere Beteiligte. Wichtig – auch für die Seele.
Rüdiger Wala