Ein Himmel voller Friedenstauben
Ökumenisches Kirchenzelt zum 1. Mai
Der Krieg in der Ukraine und die Folgen der Corona-Pandemie: Die Frage nach Frieden und Gerechtigkeit stand im Mittelpunkt des ökumenischen Kirchenzeltes beim Fest der Demokratie nach der DGB-Kundgebung in Hannover.
Manchmal wird es auch in einem ansonsten betriebsamen Zelt inmitten eines von Tausenden Menschen besuchten Festes für einen Moment still. „Was würden Sie sich wünschen?“, wird Mariya Maksymtsiv gefragt. Sie vertritt die ukrainische griechisch-katholische Gemeinde St. Wolodymyr beim Talk an der Weltkugel im ökumenischen Kirchenzelt am 1. Mai.
Mariya Maksymtsiv denkt einen kleinen Moment nach, sucht nach Worten. „Ich wünsche mir, dass wir alle in Frieden leben können, dass die Ukraine so schnell wie möglich Frieden findet“, sagt sie. Mariya Maksymtsiv hat die Bilder vor Augen, die sie täglich sieht – in St. Wolodymyr, bei den Flüchtlingen in der Notaufnahme, in den durch die Gemeinde vermittelten Unterkünften, auch in Pfarrhäusern und anderen Einrichtungen: „Ich wünsche mir, dass die Kinder schnell wieder ihre Väter, die Frauen wieder ihre Männer sehen.“ Sie sehe, wie sehr die Familien unter der Trennung leiden: „Das schmerzt.“
Einen Wunsch hat sie aber auch für sich: „Ich wünsche mir, dass ich meinen Bruder am Telefon höre.“ Denn das ist der Beleg, dass er noch lebt. In diesem Moment ist der Krieg, ist der russische Überfall auf die Ukraine nicht über 1000 Kilometer entfernt. Er ist spürbar nah.
Die Sehnsucht nach Frieden, der Wunsch nach Gerechtigkeit – beides steht im Mittelpunkt des Zeltes des evangelisch-lutherischen Stadtkirchenverbandes und der Katholischen Kirche in der Region Hannover. Bereits zum 12. Mal beteiligen sich beide Kirchen beim Fest der Demokratie, das im Hannover traditionell der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) auf dem Goseriedeplatz folgt – nach zwei Jahren Corona-Zwangspause.
Kleine Zeichen der Hoffnung sollen vom Kirchenzelt ausgehen. Hoffnungskarten werden verteilt. Zitate von prominenten Menschen, Verse aus der Bibel oder auch die Zeilen eines Liedes der ökumenischen Gemeinschaft aus dem französischen Taizé: „Meine Hoffnung und meine Freude …“, werden verbunden mit dem Gebet der Vereinten Nationen. „Wir glauben, Gebete helfen. Überall auf der Welt“, heißt es auf der Rückseite der Karten.
Kinder sind eingeladen, Friedenstauben auszumalen. Nicht nur sie nutzen die Möglichkeit. Auch ihre Eltern und andere Erwachsene greifen zu Buntstiften. Manche schreiben ihren Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit noch dazu. Nicht nur in Deutsch.
Die Zeichnungen werden laminiert und bekommen für eine Woche einen besonderen Platz. Mitten auf dem Goseriedeplatz steht die Ruine des ältesten Gebäudes Hannovers: Die Nikolaikapelle wurde erstmals 1284 urkundlich erwähnt. Damals stand das Kirchlein noch vor dem steinernen Tor Hannovers. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gotteshaus zerstört, die Außenmauern wurden als Mahnmal erhalten. Für eine Woche ist über dem aus dem Jahr 1325 stammenden Chorraum in sieben Metern Höhe ein Netz gespannt. Dort werden die Friedenstauben mit Wäscheklammern befestigt. Beim Blick von unten ist der Himmel voller Friedenstauben.
Die Hilfen für die geflüchteten Frauen und Kinder aus der Ukraine, die Folgen der Corona-Pandemie: Beim Talk an der Weltkugel umreißt Regionspräsident Steffen Krach zwei Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft steht: „Menschen aufnehmen, in Sicherheit bringen, eine Perspektive bieten – das Engagement der Region ist beeindruckend.“ Gleichzeitig bleibe das Wahren des gesellschaftlichen Zusammenhalts eine große Aufgabe: „Das hat viel mit guten Arbeitsbedingungen zu tun“, unterstreicht Kraft am Tag der Arbeit: „Menschen müssen von ihrer Arbeit gut leben können.“
Für den evangelischen Stadtsuperintendenten Rainer Müller-Brandes können die Kirchen in diesen Zeiten Zeichen setzten: „Beten und konkret etwas tun – das geht zusammen.“ Sowohl in der Hilfe für Geflüchtete als auch im Einsatz für gerechte Arbeitsbedingungen. Müller-Brandes erinnert dabei an kirchliche Initiativen für Ausbildung und Arbeit, an die Tarifbindung in den eigenen Einrichtungen: „Das dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren.“
Die Sorge um Gerechtigkeit heben auch Georg Rinke und Jutta Weigert beim Talk hervor. "Gerechtigkeit heißt auch, mit Würde durch das Leben zu gehen“, betont Rinke, Geschäftsführer des Straßenmagazins Asphalt, das von wohnungslosen Menschen verkauft wird: „Unsere Solidarität muss weiterhin allen Flüchtlingen gelten und Menschen in Not dürfen nicht vergessen werden.“
Jutta Weigert, Gleichstellungsbeauftragte des Bistums Hildesheim, lenkt die Aufmerksamkeit auf die veränderte Situation von Frauen: „In der Corona-Pandemie waren sie es, die die gesellschaftlich notwendige Sorgearbeit übernommen haben.“ Das habe sie wieder in die klassische Frauenrolle gedrängt. Gleichzeitig sind die Lohnunterschiede von Frauen und Männern in Deutschland immer noch groß: „Das ist noch viel zu tun.“
Rüdiger Wala