Der kleine Gott, der Großes bewirkt
Zentrale Fronleichnamsfeier in der Innenstadt von Hannover: Farbenfrohes Fest mit Bannern und Fahnen, Weihrauch und Kerzen, Gebeten und Liedern in unterschiedlichen Sprachen. Und etwas Regen ...
Fast ... fast hätte für eine Prozession trockenen Fußes gereicht. Aber eben nur fast. Die Hälfte des Weges von der Marktkirche zur Basilika St. Clemens war geschafft, da öffnete der Himmel seine Schleusen. Der Segen von oben kam mit Wind. Einige Teilnehmer*innen an der Prozession sammelten sich unter den wenigen Schirmen, die Mehrheit behalf sich weiter mit Gesängen und Gebeten und durch einen schnelleren Schritt.
Der fröhlichen Stimmung, die zu Beginn beim Freiluft-Gottesdienst vor der Marktkirche geherrscht hat, tat das keinen Abbruch. Banner und Fahnen, Weihrauch und Kerzen, Lieder, Gebete und Fürbitten in vielen unterschiedlichen Sprachen ein buntes Bild bot der Gottesdienst mitten in der Innenstadt von Hannover. Bereits zum fünften Male haben die zwischen 1500 und 2000 teilnehmenden Katholik*innen aus den Hannoveraner Gemeinden und der Polnischen, Kroatischen, Italienischen und Spanischsprachigen Missionen vor der evangelisch-lutherischen Hauptkirche Hannovers gefeiert.
Keine Selbstverständlichkeit, sondern ein starkes Zeichen der kumene. Vor allem, da Fronleichnam ein zutiefst katholisches Hochfest ist und in der Geschichte nicht selten als deutliche Abgrenzung gegenüber den Evangelischen benutzt wurde. Umgekehrt war es der Reformator Martin Luther selbst, der in der mildesten Variante seiner zeitgeschichtlich üblich deftigen Worte, Fronleichnam als eitel Abgötterei schmähte. Mehr noch: Es streitet mit seiner Schmink und erdicht?en Heiligkeit wider Christi Ordnung und Einsetzung, lässt sich der Reformator in seinen 1530 veröffentlichten Tischreden nachlesen. Er empfahl: Darum hütet euch vor solchem Gottesdienst!
Eine Empfehlung, der evangelisch-lutherische Superintendent und damit auch Hausherr der Marktkirche, Hans-Martin Heinemann nicht folgte. Auch wenn er ganz lutherisch in Spuckweite einer durchaus martialischen Bronzeskulptur deutlich machte: Fronleichnam ist kein Fest für uns Evangelische. Aber es erinnert den 65-Jährigen nicht an Reformation und Gegenreformation, sondern mehr an Pfingsten: Daran, dass wir in Vielfalt unseren Glauben bekennen und feiern. Im Laufe des Jahres wird Heinemann in den Ruhestand gehen und so nutzte er die Gelegenheit auch, um sich von den Hannoveraner Katholik*innen zu verabschieden: Die ökumenischen Begegnungen seien für ihn eine der schönsten und berührendsten Gottesgaben dieser gemeinsamen Jahre gewesen. Das gab langen Applaus.
Den Gedanken der ökumenischen Begegnung als Gottesgabe nahm Propst Martin Tenge in der Predigt auf. Fronleichnam als eine katholische Demonstration ist durchaus eine Herausforderung für die kumene, betonte der Regionaldechant. Vor allem ist eine Prozession durch die Stadt kein Anlass zur berheblichkeit: Kein ?wir gegen?, sondern ein ?wir mit?.
Ein Zweites macht Tenge nachdenklich: Wir als katholische Kirche haben zurzeit überhaupt keinen Anlass triumphierend Brust durch die Straßen zu ziehen. Die Führungsmannschaft habe einiges an Problemen verursacht. Es hapere innerkirchlich an einem offenen Umgang mit Macht, an Gleichberechtigung und Transparenz. Mehr noch: Es mangelt an gegenseitigem Würdigen und Wertschätzen. An Fronleichnam werden auch diese Probleme und Herausforderungen mit in die Prozession, mit in die Gebete und Lieder genommen: Wir bitten Gott, das er sie wandelt. Zu Fronleichnam gehöre nicht nur der Gedanke der katholischen Demo, sondern auch die Demut, diesen Weg zu gehen.
Zwar werde bei der Prozession ein goldenes Zeigegefäß, die Monstranz, unter einem Baldachin getragen. Durchaus ein herrschaftliches Zeichen. Aber gezeigt, demontiert, werde nicht Pracht und Herrlichkeit, sondern ein Gott, der in Jesus Mensch geworden ist, sich klein gemacht hat. Dieser Jesus werde gezeigt, ein Angebot unabhängig, ob sich Menschen daran reiben, ob sie die Stirn runzeln, dagegen sind oder sagen, toll, dass es noch Menschen gibt, die an die Gegenwart Gottes im Alltag glauben. Für Tenge gibt es durchaus eine Sehnsucht nach Gott: Und dieser in einem kleinen Stück Brot menschlich gewordene Gott kann Großes in unseren Herzen auslösen. Diese Größe im Herzen kann Gott auch jenseits einer liturgischen Feier in den Alltag tragen.
Zeichen setzen, teilen das taten die Gotesdienstteilnehmenden auch mit der Kollekte. 3600 Euro war der Ertrag, 700 Euro mehr als im Vorjahr. Die Kollekte geht zur Hälfte an das Haus der Religionen in Hannover. Seit dessen Gründung im Jahr 2005 unterstützt die katholische Kirche in der Region Hannover das bisher bundesweit einmalige Haus: Mit dem Anliegen, in direkten Begegnungen über den eigenen und den Glauben der anderen ins Gespräch zu kommen auch über die Größe im Herzen.
Musikalisch wird der Gottesdienst unter anderem von einer Schüler-Band der katholischen St.-Ursula-Schule und einem Bläserensemble unter Leitung von Peter Erben gestaltet. Der Prozession und dem Abschluss in St. Clemens schloss sich noch eine Begegnung auf dem Platz vor der Basilika an dann wieder bei trockenem Wetter. Für die Gastfreundschaft sorgten das Team der Pfarrgemeinde St. Joseph und Ehren- und Hauptamtliche des Caritas-Treffpunktes für Obdachlose.
Rüdiger Wala