"Da steckt Seele drin"
Glaubensgeschichten I
Als Kind war sie in ihrer Pfarrgemeinde zu Hause, später ließ sie die Kirche hinter sich. Durch die eigene Tochter kam sie wieder zurück. Martina Baake hat nach dieser Lebenswendung festgestellt: Glaube ist mehr als Erinnerung.
Hier tobt ja da Leben – wie großartig: Es wuselt um den Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer. Kinder, Mütter, Kaffee, Brötchen und ein Vater. Wilmer ist als Corona solche Besuche noch nicht verhinderte zu Gast im Mütterzentrum in Nienburg, einer Kreisstadt nordöstlich von Hannover. Zum ersten Mal nach seiner Weihe zum Bischof visitiert Wilmer eine Gemeinde. Er will aber nicht als Kontrolleur in die Kirchenbücher schauen, sondern Gemeinschaft und Zusammenhalt vor Ort erleben. Deshalb hat ihn Nienburgs Pfarrer Thomas Jung als Erstes mit ins Mütterzentrum genommen.
Das Mütterzentrum – kurz: Müze – ist keine kirchliche Einrichtung, sondern ein Verein, der seit über 30 Jahren besteht. Aber es gibt einen Zusammenhalt mit der Pfarrgemeinde St. Bernward durch Martina Baake. Sie ist seit 2014 Vorsitzende des Müze. Und sie ist Mitglied im Pfarrgemeinderat. Beides zusammen lässt auch unmöglich Erscheinendes Wirklichkeit werden.
Zum Beispiel die Hilfe für Gedit Habtezghi Bahlibi. 2014 nach Deutschland gekommen, fiel sie sowohl Jung als auch Martina Baake auf: Weil sie so still war, jede Woche im Gottesdienst, jede Woche im Müze. Still war die Frau aus Eritrea nicht nur, weil sie kein Deutsch konnte. Nachdem Martina Baake ihre, wie sie zugibt, Berührungsängste überwunden hat, stellt sich heraus: Gedit musste eine Tochter im Sudan zurücklassen.
Der Vater hatte den stärkeren Glauben
Müze und St. Bernward werden aktiv. Schreiben an Ämter und Botschaften, ständiges Nachhaken, Spenden sammeln. Ein Jahr später kann die stille Mutter ihre Tochter Veronica wieder in den Arm schließen. Wir haben alle hier geheult, erzählt Martina Baake.
Baake, heute 52 Jahre alt, ist in einem Dorf nahe Nienburg aufgewachsen. Heute lebt sie mit Mann und ihrer zwölfjährigen Tochter wieder in ihrem Elternhaus. Bis zu deren Tod auch mit ihren Eltern. Mein Vater war Schlosser, meine Mutter Friseurin, erzählt sie. Es war eine, wie es damals hieß, Mischehe. Vater katholisch, Mutter evangelisch. Die Kinder wurden katholisch getauft. Das lag zum einen an der Oma, die einen unwahrscheinlichen Einfluss hatte, wie Martina Baake sagt. Sie hat zum anderen aber auch ihren Vater gefragt, warum diese Entscheidung getroffen wurde. Seine Antwort: Ich habe den stärkeren Glauben. Das hat Martina Baake geprägt.
Die Bindung an die Kirche in der Kindheit zog sich auch durch ihren Alltag: Sonntags ging es mit einem Reisebus zum Gottesdienst. Die Oma hatte ihr dafür extra eine kleine rote Tasche genäht. Gegenüber der Kirche hatte sonntags ein kleiner Kiosk auf: Nach der Messe gab es einen Schokoriegel. Vertraute Erinnerungen.
Unter der Woche holt der Kaplan die verstreut lebenden wenigen katholischen Kinder in der niedersächsischen Diaspora zum Religionsunterricht ab. Ich war oft das einzige katholische Kind in der Klasse und sogar ein bisschen stolz darauf, erinnert sich Martina Baake. Die Oma meldete ihre Enkelin zur Ferienfreizeit nach Ameland an. Das war allerdings keine gute Idee: "Ich hatte so Heimweh!"
Doch dann: Schule vorbei, Ausbildung, Beruf. Kirche rückt in den Hintergrund. Martina Baake arbeitet als Fahrzeug- und Personaldisponentin. Sie teilt die Fahrer einer Rohrreinigungsfirma ein: Ja, da war auch ein bisschen Zuckerbrot und Peitsche mit im Spiel eine gute bung für das Mütterzentrum. Und: Ich habe die Arbeit gern gemacht. Liebe, Heirat, Kind, erneuter Einzug in das Elternhaus, Pflege der Eltern das Leben nimmt für Martina Baake eine neue Wendung.
Der Tod des Vaters, die lange Erkrankung der Mutter führt ihr vor Augen, worauf es für sie im Leben ankommt. Sie findet Trost und Zuversicht in den Glaubenssatzen ihres Vaters. Satz Nummer eins: dass der liebe Gott die Gelassenheit schenken möge, die Dinge hinzunehmen, die nicht zu ändern sind. Und Satz Nummer zwei: Das wird sich schon finden. Mit Gottes Hilfe.
Die Konfession trennt uns nicht mehr
So findet Martina Baake den Weg zurück zur Kirche. Die Tochter steht vor der Erstkommunion: Ein bisschen schüchtern (so wie ich früher) bittet sie darum, dass ihre Mutter doch ein- oder zwei- mal mit zur Vorbereitung kommt: Auf einmal bin ich dann als Katechetin eingesprungen. Die Familie geht wieder mehr zur Kirche: Ich habe mich gefragt, wie ich das so lange ohne heilige Messe ausgehalten habe. Fast wie in den alten, vertrauten Zeiten. Mit einem Unterschied. Ihre evangelische Mutter konnte sich damals mit dem Kirchgang nicht anfreunden, ihr evangelischer Mann heute dagegen schon: Das trennt uns nicht mehr, sondern bringt uns zusammen. Aus den Mischehen von früher sind konfessionsverbindende Ehen geworden.
Auch beim Müze ist Martina Baake schlicht reingerutscht. Als Nutzerin der Angebote des Vereins sollte sie für vier Monate bei der Koordination aushelfen. Daraus wurden Jahre, daraus wurde der Vorsitz, daraus wur- den neue Angebote: frühe Hilfen in Zusammenarbeit mit dem Landkreis, Flüchtlingsarbeit in Zusammenarbeit mit der Pfarrgemeinde, ein großer Umbau mit Eigeninitiative, Spenden und örtlichen Handwerkern, die für kleines Geld gearbeitet haben. Blickt Martina Baake auf das Müze sagt sie: Das ist auch ein großes Stück Sozialarbeit mit Müttern aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Anträge ausfüllen, Erziehungsratschläge, aufmuntern – da steckt schon Seele drin. Und Nächstenliebe.
Rüdiger Wala